"Cyber"-Absperrband, "Cyber Marsch" der Bundeswehr, Publikum.
Im April 2017 eröffnete das deutsche Militär, die Bundeswehr, einen neuen Dienstzweig mit Sitz in der Nähe von Bonn: Cyber, die vierte Waffengattung nach Heer, Luftwaffe und Marine. (Über die internationale Aufrüstung im Internet ließe sich viel sagen. Kurz: es ist wieder die mutual assured destruction, MAD, die gegenseitige garantierte Vernichtung.) Um ihren neuen Aktionsbereich zu feiern, hat die Bundeswehr einen offiziellen Marsch komponieren lassen. Die Musik hat etwas Lustiges, sie klingt eher nach Rheinischem Karneval. Äußerst unangemessen. Dieser Marsch bildet die musikalische Untermalung für diese Installation, die aus einem kleinen Lautsprecher in der Mitte kommt.
Die Spirale ist aus Absperrband geformt, das von einem lokalen Hacker-Club bezogen wurde, der es zum Selbstkostenpreis vertreibt. Die Hacker-Gemeinde nutzt das Band als eine Art Scherzartikel, indem sie Serverschränke für Fototermine absperrt und sie als sicher vor Hacks erklärt. Man macht sich damit über die Politik der Regierungsparteien lustig, die ähnlich symbolisch und ineffektiv ist. Der Begriff Cyber gilt als Indikator: Wer ein wenig von Informationssicherheit versteht, benutzt ihn nicht. Wenn er verwendet wird, dann meist in politischer Absicht, um Angst zu schüren oder um für schärfere Gesetze zu werben.
Wenn Sie sich der Spirale nähern, ist es leicht, ihre Länge zu unterschätzen. Der Abstand von ihrem Rand bis zur Mitte beträgt nur fünf Meter, aber der Weg hinein ist etwa 180 m lang. Erst beim Laufen merkt man, dass man eine beträchtliche Strecke zurücklegen muss, und man verfällt bald in eine Art automatischen Trab. Die Marschmusik sollte sich für solche Situationen eignen, aber die Spirale macht einen schwindlig. Es kommen einem Menschen entgegen. Der Gang ist zu schmal, um problemlos zu zweit durchzukommen, also gibt es Staus und Blockaden. Man muss verhandeln, Blickkontakt herstellen und sich gegenseitig Platz machen. Es ist unangenehm. Marschieren funktioniert nicht.
Der Künstler Christian Sievers hat aus gelbem Absperrband, auf dem in schwarzen Großbuchstaben fortlaufend das Wort CYBER steht, eine Spirale konstruiert. Bringt er so ein Stück des Cyberspace in den Vorgebirgspark Köln? Ist das ironisch gemeint? Aber ja – und zugleich viel mehr als das. Das Absperrband erinnert an Tatorte oder Unfallstellen, die von der Polizei abgeriegelt werden. Doch bei Sievers fordert das Band die Besucher als eine Art Wegführung geradezu zum Betreten der Installation auf. Das CYBER-Band wird insbesondere im Umfeld der Hacker-Szene als eine Art Scherzartikel gehandelt. Denn die Vorstellung, man könnte im Netz wie im Realraum Grenzen ziehen und bestimmte Bereiche gegen andere absperren oder isolieren, ist absurd. Der Wortteil „Cyber“ entstammt ursprünglich dem von Norbert Wiener geprägten Kunstwort „Kybernetik“ als Name für eine Wissenschaft der (Maschinen-)Steuerung. Es wird heute in inflationär benutzt für alles, was mit Computern und Internet zu tun hat: Cybersex, Cyberspace, Cyberwährung, Cyberattacke, Cybermobbing ... Der unreflektierte Wortgebrauch, auch von Journalisten und Politikern, verrät oft Unkenntnis der technischen Gegebenheiten oder deutet auf die bewusste Verschleierung der ökonomischen, politischen, infrastrukturellen, militärischen, sicherheitstechnischen usw. Zusammenhänge rund ums Netz.
Das von Christian Sievers aufgespannte, ungefähr 180 Meter lange leuchtendgelbe Absperrband wird von insgesamt 108 schwarz gestrichenen, in den Boden gesteckten Vierkanthölzern in einer Höhe von etwa 110 Zentimetern über dem Boden gehalten. Sein Ausgangspunkt ist der von hohen Linden gesäumte Baumhof des Vorgebirgsparks. Von da verläuft es in einer einladenden Kurve zwischen den fest installierten Tischtennisplatten hindurch, über einen Gehweg hinweg und auf die große Parkwiese hinaus. Dort setzt es die flache Rechtskurve fort, bevor es unversehens in eine enge, gegen den Uhrzeigersinn verlaufende, achtfach gewundene Spirale mündet.
Sievers gehört zu den Künstlern, die den Umgang mit dem Internet und elektronischen Medien als wichtigen Teil unserer heutigen Lebenswelt in ihre Arbeit einbeziehen. Dadurch verändert sich der Begriff der Skulptur unvermeidlich. Es geht dann nicht primär um die gelungene, stimmige oder „schöne“ Formung eines Materials, sondern vorrangig um die Formierung von Verhalten, Erfahrungen und Erkenntnisprozessen. Folgerichtig ist die Beteiligung des Publikums für Sievers von besonderer Bedeutung. Bei ihm wird jedoch der Begriff der Partizipation, der einmal für die Teilhabe, Emanzipation und den Freiheitsraum des Betrachters stand, selbst hinterfragt. Die „Ausübung von Zwang im Werk spiegelt (...) den Modus wider, in dem partizipiert wird. Es ist zwar denkbar, sich zu verweigern, aber nur zum Preis der Selbstmarginalisierung. ‚Freiwilligkeit’ bekommt einen hohlen Beiklang“, schrieb Sievers anlässlich seiner Arbeit „Übung“ von 2016, in der bereits ein Absperrband zum Einsatz kam. Die CYBER-Spirale im Vorgebirgspark führt diesen Zwang anschaulich vor. Zunächst muss man als Besucher entscheiden, ob man dem Band folgen und sich in die Spirale hineinbegeben möchte oder nicht. Wer außen bleibt, entscheidet sich für die Rolle des Zuschauers, wird dann aber die spezifischen Erfahrungen nicht machen, die dieses Werk bereitstellt. Wer sich in sie hineinwagt, wird selbst Teil der Arbeit und dementsprechend von außen beobachtet. Man kann links oder rechts des Bandes entlanggehen. Wer rechts bleibt, muss eine Extrarunde außen herum zurücklegen, bevor er/sie in die Spirale eintritt. Zu den Erfahrungen innerhalb der Spirale gehört die Erkenntnis, in eine Art Falle gelockt worden zu sein. Wer den langen Weg in die Spiralmitte absolviert hat, muss zuletzt ja auch wieder zurück. Wenn mehrere Personen zugleich unterwegs sind, kommt man sich unvermeidlich in die Quere, muss ausweichen und sich darüber verständigen, wie man aneinander vorbeikommt. Das kann zu Staus und Stockungen kommen, vielleicht auch zu Spannungen. Auch ist es immer möglich, dass einzelne Besucher entscheiden, die ungeschriebenen Spielregeln zu brechen und zum Beispiel unter dem Band hindurchzuschlüpfen.
Der Gang durch die Spirale hat ein Ziel: In der Mitte befindet sich am Boden ein Abspielgerät, aus dem in Endlosschleife ein schmissiger, ja, fröhlicher Militärmarsch im Sechsachteltakt tönt. Es handelt sich dabei – kein Witz – um den „Cyber Marsch“ (sic), der nach Auskunft der Pressestelle der Bundeswehr am 5. April 2017 „auf dem Indienststellungsappell des Kommandos Cyber- und Informationsraum“ zur Uraufführung kam. Musikalisch tief im 19. Jahrhundert steckend, soll er dennoch in die Zukunft weisen und „die Aufbruchstimmung und den visionären Tatendrang des neuen Kommandos“ bezeichnen. Laut einem Bericht im Deutschlandfunk werden diese „Cyber-Krieger (...) neben Heer, Luftwaffe, Marine zu einer eigenen Waffengattung“. Grund genug, sich einmal darüber zu informieren, was mit „rechnergestützten Kampfhandlungen“ gemeint ist. Mit der Fröhlichkeit ist es dann schnell vorbei: der Cyber-Krieg steht der atomaren Bedrohung des Kalten Krieges in puncto Schrecken in nichts nach. Christian Sievers’ Installation kommt humorvoll daher und macht den Besuchern Beine, um sie dann umso enger in die akuten Fragen der Digitalisierung zu verwickeln.
Peter Lodermeyer im Katalog zur Vorgebirgsskulptur 2017