Ein Projekt für den öffentlichen Raum, zuerst plakatiert in Karlsruhe und Köln im Herbst und Winter 2015/16.
Sammlung des ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.
Zuletzt von 2017 bis 2019 ausgestellt in der Wanderausstellung Global Control and Censorship des ZKM Karlsruhe, die durch eine Reihe von osteuropäischen Staaten tourte. Das Projekt läuft aber auch weiter, wenn das Telefon nicht gerade zu sehen ist; die Nummer ist immer erreichbar.
Von dieser Nummer wurde der NSA-Whistleblower William Binney angerufen. Die Nummer gehört zu einem Mobiltelefon, das in einer Vitrine in einer Ausstellung des ZKM Karlsruhe liegt. William Binney hat sich bereit erklärt, das Projekt zu unterstützen. Er wurde angefragt, weil er bekanntermaßen unter einer besonders verschärften Art der Überwachung steht. Sämtliche mit ihm in Verbindung gebrachten Daten sind "gusseisern" – ein NSA-interner Begriff, der bedeutet, dass diese vollständig und dauerhaft gespeichert werden. Zu 100% und für immer.
Wir wissen, dass die NSA Verbindungsdaten über mindestens 3 Sprünge ("hops") überwacht – der Geheimdienst hat dies 2013 selbst eingeräumt. Das ausgestellte Telefon ist ein direkter Kontakt von William Binney. Es ist sozusagen ganz oben auf der Liste. Wenn Sie dieses Telefon von Ihrem eigenen Gerät anrufen, sind Sie ein Kontakt zweiten Grades, und damit Teil des sozialen Graphen Binneys. Damit sind Sie ebenfalls "auf der Liste".
Darüber hinaus werden von nun an ebenfalls alle Ihre Freunde, Ihre Familie, Arbeitskollegen und sämtliche sonstigen Kommunikationspartner überwacht - sie sind Kontakte dritten Grades.
Dies alles wird auf Plakaten erklärt, die im Stadtraum von Karlsruhe, und auf 200 großen Litfaßsäulen in Köln zu sehen sind. Die Plakate zeigen außerdem die Handynummer +49 174 276 6483 und in sehr großen Buchstaben den Satz "Wir haben keine Angst". Ein Text erklärt, was es mit der Handynummer auf sich hat, und wie weit die Überwachung der Kommunikationsdaten geht. Der Text schlussfolgert: "Eine der unheilvollsten Folgen ist der sogenannte ‹chilling effect›: sobald man weiß, dass es diese Programme gibt, schränkt man sich unwillkürlich ein." Diese Selbstzensur sei unwillkürlich und mit Aufrufen zu mehr Verschlüsselung nicht entgegenzuwirken. Das einzige, was man tun könne, so der Text, sei die bewusste Entscheidung, sich nicht einschränken zu lassen. Genau deshalb solle man jetzt die Nummer wählen, als ein Zeichen, dass man sich nicht einschüchtern lasse. "Warum sollten Sie das tun, mögen Sie fragen. Es stimmt, Sie werden dadurch mit Binney in Verbindung gebracht. Ebenso wie alle Ihre persönlichen Kontakte. Auf dem Spiel steht allerdings viel mehr als die möglichen Folgen einer solchen Datenspur.Wollen Sie wirklich ein Leben führen, in dem Sie davor zurückschrecken, vollkommen legale Dinge zu tun – wie zum Beispiel eine Handynummer anzurufen?"
– Der gesamte Text ist auf hop3.de zu lesen.
Die Standorte der 200 plakatierten Litfaßsäulen in Köln
Das Plakat bringt den Betrachter in eine Zwickmühle. Entweder man ruft an und fügt sich freiwillig dem sozialen Graphen William Binneys hinzu. Keine angenehme Vorstellung, sich gegenüber offensichtlich außer Kontrolle geratenen Geheimdiensten auffällig zu benehmen. Oder man lässt es bleiben und muss mit sich selbst ausmachen, ob man nicht schon eingeschüchtert ist.
Das Telefon liegt unterdessen in seiner Vitrine, und fängt immer wieder an zu klingeln. Wenn man es anruft, geht auch nach längerem Warten kein Anrufbeantworter dran. Es muss auch niemand abnehmen, das bloße Wählen der Nummer reicht, um eine Beziehung zwischen den sozialen Graphen herzustellen.
Mit einer ganz alltäglichen Handlung hat man sich in kürzester Zeit in eine neue Situation begeben, die man zwar erfassen, aber nicht unmittelbar erfahren kann. Das Wesen der Vernetzung – jeder ist auf Wohl oder Übel mit jedem verbunden; alles hinterlässt Datenspuren, die Begehrlichkeiten wecken – wird wieder bewusst.
Man ahnt etwas vom Ausmaß der Überwachung. Das Gerät, das uns körperlich und emotional am Nächsten ist – Handys sind für viele das letzte, das man am Tag in der Hand hält, und das erste nach dem Aufwachen – es wird ein wenig unheimlich.