Ex|po|si|ti|on – von lat. „ponere“; aufstellen, errichten, darstellen, (Gefahren) aussetzen, öffentl. ausstellen, aufgeben, beenden. Bedeutungen: 1. öffentliche Ausstellung / 2. einführender Teil einer Geschichte oder eines Dramas / 3. Einwirkung von Umwelt- einflüssen auf einen Organismus/4. Exponiertheit: durch räumliche Lage, persönliche Situation o. Ä.
der Aufmerksamkeit/möglichen Angriffen/Gefahren ausgesetzt/ungeschützt/herausgehoben sein / 5. Belichtung (Fotografie) / 6. abschließender Teil einer Konfrontationstherapie (Begegnung mit angstauslösenden Reizen).
In seiner Einzelausstellung Exposition zeigt Christian Sievers ein interaktives System, in dem das Publikum mit zwei Künstlichen Intelligenzen interagieren und sich deren Entscheidungs- und Prognosefähigkeiten aussetzen kann. In einem „Aufnahmeraum“ analysiert und beschreibt eine KI-basierte visuelle Szenenerkennung das Geschehen vor einer Kamera. Das Publikum, das diesen Aufnahmeraum betritt, sieht sich im Videobild zusammen mit einer von der KI verfassten Beschreibung des Bildes als direktes Feedback auf das eigene Agieren vor der Kamera. Die Szenenerkennung registriert nicht nur einzelne Personen oder Objekte, sondern stellt Vermutungen über das Zusammenwirken der Menschen vor der Kamera an. Bei bestimmten gemeinsamen Handlungen des Publikums wird ein zweiter Prozess ausgelöst. Eine andere künstliche Intelligenz, die auf die Vervollständigung von Geschichten spezialisiert ist, erhält die Informationen über die Situation im Kunstraum und wird aufgefordert, sich vorzustellen, was katastrophal schiefgehen könnte. Das Publikum wird so zur Akteur*in in automatisch erstellten Narrativen, in denen eine im Entstehen begriffene Technologie unsere Ängste und Sehnsüchte sich selbst gegenüber formuliert.
Gerade die großen KI-Modelle wie die hier eingesetzten von Azure und GPT-3 sind Ausdruck einer Art kollektiver Psyche. Die Installation gewährt Einblicke in die Funktionsweise dieser Modelle. Gleichzeitig provoziert ein algorithmisch überwachter Raum das Publikum zu einer gewissen Ausgelassenheit, obwohl das nicht leicht fällt angesichts der bekannten vielfältigen Probleme rund um Datenschutz, „bias“ und den Machtmissbrauch durch Silicon Valley. Die Installation bildet im Ausstellungsraum die aus dem Plattformkapitalismus bekannten digitalen Entscheidungsarchitekturen nach: Um teilzuhaben, muss man sich aussetzen und Kontrolle abgeben; eine kognitive Dissonanz die wir alle täglich im Netz erfahren.
Die generierten düsteren und lustigen Narrative werden auf den Screens im Ausstellungsraum und ggf. – je nach Zustimmung – auf https://comfort.technology gezeigt. Alle dynamisch erstellten Inhalte sind grün hinterlegt. Um den Algorithmen nicht das letzte Wort zu überlassen, begleiten (menschliche) Assistent:innen die Produktion und Rezeption der Narrative. Sie können eigenständig und in Absprache mit den aufgenommenen Personen in die Narrative eingreifen, sie redigieren, gewichten, kommentieren oder löschen. Sie vermitteln aus ihrer Kompetenz als technisch versierte Künstler:innen heraus zwischen den Künstlichen Intelligenzen und dem Publikum, erläutern die technischen Hintergründe und geben Zugang zum Diskurs um die Macht der Algorithmen.
Ein Kunstprojekt von Christian Sievers, implementiert von Valia Fetisov. Grafik Design von Florian Egermann. Videodokumentation durch Damian Weber. Assistenz und Datenkuration durch Ting-Chun Liu, Kim, Sakaya, Jasmina, Juan, Giorgi, Sina und andere. Visuelle Szenenerkennung: Microsoft Azure Cognitive Services, Region Germany West Central.
Natürliche Sprachverarbeitung: GPT-3.
Die Ausstellung wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Sonderprogramms Neustart Kultur, vergeben durch den BBK.
Exposition