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Alles weg. Von heute auf morgen. Kann jederzeit passieren. Das hört man oft, und wenn einen die technischen Details nicht abschrecken, sondern reizen, begibt man sich in die Untiefen der Datensicherung.
Der Rat von Experten zum Umgang mit den eigenen Daten lautet traditionell: Back up religiously. Der Verdacht wächst, dass diese Empfehlung ernst gemeint ist.
Wer schon einmal persönlich bedeutsame Daten verloren hat, weiß, dass das Ausführen des Backup-Programms tatsächlich etwas Beruhigendes haben kann. Man fühlt sich der Willkür der Maschinen ein bisschen weniger ausgesetzt. Mit der regelmäßigen Wiederholung wird etwas, das ursprünglich eine ganz pragmatische Handlung war, zum Ritus und gewinnt an Tiefe und Bedeutung.
Die Nachrichtentechnik bekommt einen zunehmend quasi-religiösen Beigeschmack nicht erst seit Technologiekonzerne mit Inbrunst verehrt werden. (Verschiedene Glaubensrichtungen gibt es auch schon, die Eingeweihten wissen natürlich, dass das Heil in der Open-Source-Gemeinde zu finden ist.)
Vom Sachschaden mal ganz zu schweigen – der Totalverlust aller Fotos und Videos kann ein nicht zu unterschätzendes Trauma darstellen:
Over the years I’ve received numerous emails from past and former Genius Bar support staff, telling similar stories of heartbreak. Customer comes in, their iPhone completely broken, or lost, or stolen, and they had precious photos and videos on it. The birth of a child. The last vacation they ever took with a beloved spouse who has since passed away. Did they ever back up their iPhone to a Mac or PC with iTunes? No. In many cases they don’t even know what “iTunes on a PC” even means. Or maybe they connected the iPhone to iTunes once, the day they bought it and needed to activate it, and then never again.
This happened to thousands of people. (...) It’s heartbreaking in most cases, and downright devastating in some. I’ve heard from Genius Bar staffers who eventually left the job because of the stress of dealing with customers suffering data loss. Once it is determined that the photos and videos are irretrievable from the device and have never been backed up, the job of the Genius staffer turns from technician to grief counselor. Bereavement is not too strong a word.
John Gruber, “Security Trade-Offs”, Daring Fireball
Eine mögliche Lösung, nur halb im Scherz: „Computing peace of mind is simple: Just stay paranoid and compulsive“. Man macht eine Risikoanalyse, sichert das Wichtigste ausreichend ab und trennt das Machbare von dem, über das man eh die Kontrolle verloren hat. Man muss den eigenen Datenstrom nur genug systematisieren und abschotten. Wem das alles zu kompliziert erscheint, hat vielleicht seine Arbeitsweise noch nicht genug der des Computers angepasst.
Die Alternative lautet, dem Nutzer die Arbeit abzunehmen und die Datensicherung zu automatisieren. Es ist inzwischen gar nicht mehr so einfach, ein Apple Smartphone davon abzuhalten, Kopien seiner selbst anzufertigen und auf entfernte Rechenzentren hochzuladen. Im Sinne einer nutzerfreundlichen Sicherheitsstrategie ist dies erst einmal eine gute Idee. Es steigt aber auch das Risiko, dass die Daten in fremde Hände fallen. Der Schlagzeilen machende Celebrity Nude Photo Hack im September 2014, bei dem die privatesten Fotos von über fünfzig Schauspielerinnen veröffentlicht wurden, war nur möglich durch diese Art von „Schutz“.
Alles deutet darauf hin, dass zukünftigen Versionen von Apples mobilem Betriebssystem die Option, eine Sicherheitskopie des Geräts auf der eigenen Festplatte zu speichern, ganz fehlen wird. Es geht nur noch über das Netz; die Daten landen in Apples Rechenzentren. Die damit gestiegene Verfügbarkeit der Daten für Dritte ist vermutlich kein Bug, sondern ein Feature: Sie sollen gar nicht mehr privat und unzugänglich sein.
Darüber hinaus gibt es noch ein weiteres Problem: Nicht nur wird das Risiko schlicht verschoben, weg vom Totalverlust hin zum wahrscheinlicher werdenden Missbrauch, sondern ein von den Maschinen automatisch vollzogenes Ritual hat kein magisches Potential. Es muss manuell und bewusst vollzogen werden, sonst entsteht kein Gefühl von Absicherung.
Der sicherheitstechnische Impuls ist: Es ist nie genug. Sollte es nicht noch eine Kopie mehr sein? Ein weiteres Off-Site-Backup, ein kürzeres Intervall? Wenn man das zu Ende denkt, bleibt keine Zeit mehr zum Arbeiten.
Die Realität sieht anders aus. Kaum jemand hat alle seine Daten gesichert. Backups werden nie oft genug gemacht, und manches wird nie redundant gespeichert. Verluste sind immer vorprogrammiert.
Man muss auch loslassen können. Das totale Absichern ist keine Lösung. Das ständige Managen des ganzen Zeugs wirkt auf einen zurück und macht aus Künstlern ängstliche Administratoren, übersetzt: Verwalter.
Immer mit dem Schlimmsten zu rechnen, tut der Kunst nicht gut. Sie braucht, wie die Demokratie oder die Liebe, das Unvorhersehbare.
Die künstlerische Arbeit zu früh zu sichern heißt auch, sie ihres Potentials und sich selbst seiner Freiheit zu berauben. Um sie lebendig zu halten, muss man das Risiko eingehen, sie zu verlieren.
Die traditionelle Form der Datensicherung ist „cold storage“. Das sind Speicher für Daten, die man nie oder nur noch sehr selten anrührt. Im Deutschen gibt es dafür die Bezeichnung Datengrab. Dahin schiebt man jene Sachen ab, die man nicht mehr anschauen und anfassen mag. Das ist eine Zeremonie, die vollzogen werden will. Im Gegenzug gibt es das Phänomen, dass die Dateien, die man unfreiwillig verloren hat, ein Unwesen als Geister treiben.
Ähnlich wie man Fotos macht, um vergessen zu können (die schöne Situation oder die schlimme), oder wie man sich Zettel mit Notizen schreibt, um nicht alles im Kopf behalten zu müssen (was nichts anderes ist als der Wunsch, vergessen zu können), so entsorgt man seine nicht mehr täglich benötigten Dateien ins Backup, damit man sich nicht mehr um sie sorgen muss. Wenn sie einem aber entgleiten, wenn man es nicht schafft, sie zu sichern, dann kehren sie immer wieder und suchen uns heim. Sie stellen für immer ungelöste Fragen: Wer weiß, was aus jener Idee noch hätte werden können? Aus der Skizze ein großes Werk?
Das vollautomatisierte Grab in den Lüften aber, der ausschließliche Speicher in den Wolken – was geschieht dadurch mit der Vorstellung, die sich der Nutzer von den eigenen Dateien macht?
Als könnte man von dort oben alles mühelos überblicken – was nicht ganz unzutreffend ist, Big Data ist undenkbar ohne distribuierten Speicher. Wohlgemerkt ist diese privilegierte Perspektive nicht die des Nutzers. Gleichzeitig wird impliziert, die Bits und Bytes seien als Tröpfchen in alle Winde zerstäubt. Was soll man sich da noch Gedanken machen über Datensouveränität und Datenmündigkeit.
Das Bild von der Cloud ist so irreführend wie eindringlich. Man muss es sich immer wieder ins Bewusstsein rufen: In den Wolken liegt gar nichts, ein Speicher genauso wenig wie die früher dort vermutete allmächtige Instanz. Die riesigen Rechenzentren, in denen die Daten tatsächlich landen, liegen außerhalb der Ballungsgebiete, wo das Land billig und die Stromversorgung zuverlässig ist. Sie bilden eine weltumspannende Infrastruktur, die unsichtbar bleibt. (Himmlisch ist es dort übrigens überhaupt nicht. Im Gegenteil, es ist darin ohrenbetäubend laut und auf konstante 15 Grad heruntergekühlt. Für Menschen sind diese Räume nicht gedacht.)
Die Aufladung der Nachrichtentechnologien mit Religiosität hinterlässt ein dumpfes Unbehagen. Es bleibt der Verdacht, dass dies auf Kosten eines selbstbestimmten Umgangs mit der Technik geht. Die Vernunft bleibt außen vor.
Viel ist in den letzten anderthalb Jahren über die übermenschliche Informiertheit der Geheimdienste gesagt worden. Das riesige Machtgefälle gegenüber der gottgleichen Allwissenheit von NSA und BND kann zu einem Gefühl der Machtlosigkeit und, paradoxerweise, auch der Geborgenheit führen. Für manche mag es ein Trost sein, sich unter dem Schutz einer solchen Übermacht zu wähnen. Vielleicht lohnt es sich aber gerade jetzt besonders, das Projekt Aufklärung wieder einmal aufleben zu lassen.
November 2014